Wenn man sich oberflächlich mit dem Designbegriff beschäftigt und die üblichen Wissensressourcen für eine Designdefinition zu Rate zieht, kann man schnell zu dem Schluss kommen, dass Design als Synonym für Gestaltung benutzt werden kann. Wenn man sich jedoch genauer mit dem Begriff Design beschäftigt, muss man feststellen, dass Wikipedia eben nicht immer richtig liegt.
Oder zumindest keine differenzierte Definition des Begriffes Design geben kann.Aber wer bin ich eigentlich mir anzumaßen, mehr zu wissen als Wikipedia? In meinem 5jährigen Studium im Fach Design habe ich mich (besonders in meiner Masterarbeit) praktisch wie auch theoretisch mit dem Begriff Design auseinandergesetzt. Was macht einen Designer aus? Was ist der Unterschied zwischen einem Designer und einem Gestalter? Gibt es hier überhaupt einen Unterschied? Was ist der Maßstab für gutes Design?
Design – Versuch einer Definition
Auf der Suche nach einer klaren, prägnanten Definition für den Begriff Design wird schon ersichtlich: Es gibt keine einheitliche Definition des Begriffes. Hier sind sich selbst die Designer untereinander uneinig. So gibt es beispielsweise ein Design-Handbuch, in dem verschiedene Begriffe aus dem Designumfeld erklärt werden. Der Begriff Design wird in diesem Designhandbuch jedoch nicht eindeutig definiert.
Es gibt ganze Bücher, die designtheoretisch darüber philosophieren, was der Begriff Design bedeutet bzw. zu bedeuten hat. Aber eine kurze Zauberformel gibt es nicht. In meiner Masterarbeit habe ich über den Weg der Geschichte versucht, den Designbegriff besser greifbar zu machen. Den Begriff von seiner Schwammigkeit zu lösen. Dabei ist auffällig, dass je nach Epoche der Begriff schon anders formuliert wurde. Zwei Sichtweisen sind hierbei prägnant: Zum Einen der funktionale Ansatz (Form folgt Funktion), zum Anderen das einfache Aufhübschen (Design nähert sich der Kunst an). Diese zwei Ansätze wechselten sich mehr oder weniger ab. In Zeiten einer starken Wirtschaft, mit vielen gleichwertigen Produkten wurde Design als Aufhübschung, als etwas Künstlerisches gesehen. In Zeiten des Mangels und der Armut war Design jedoch eher etwas Funktionales. Doch schauen wir uns die beiden Ansätze etwas genauer an.
Ansatz #1: Das funktionale Design
Da ich in der Bauhausstadt Dessau studiert habe, bin ich natürlich stark vom funktionalen Ansatz des Begriffes Design geprägt. Form folgt Funktion war unser Gute-Nacht-Gebet. Oder sollte es zumindest sein – nach den Willen unserer Professoren. Dieser Definitionsansatz des Begriffes Design sieht Gestaltung als Produkt des Designprozesses. Die Gestaltung ist also das, was am Ende beim Designen herauskommt. Dabei ist jedoch der Vorgang des Designens von Methodik und Wissenschaftlichkeit geprägt.
Am Anfang steht ein Problem, bzw. ein Bündel von Problemen im abstrakten Sinne. Design meint hier die Transformation dieses Problems in eine optimale Lösung. Werkzeuge zur Erreichung des Ziels sind hier keine Stifte oder Farben, sondern Methoden, die zur Bewältigung von Problemen und zu Findungen von Lösungen benutzt werden. Sicherlich ist dieser Ansatz sehr abstrakt, da hier auch ein Maschinenbauer, der ein Flugzeug baut, in diesem Sinne ein Designer ist. Das Problem der Zurücklegung weiter Strecken wird durch das Produkt Flugzeug gelöst. Die Gestaltung des Flugzeuges gehört hier sicherlich zum Designprozess, ist allerdings nur ein Ergebnis.
Verschiedene Designdefinitionen
Zehn Designdefinitionen sollen hier einen kleinen Einblick über die Vielschichtigkeit des Begriffes geben. Dabei sind teilweise konkrete Ansätze einer Designdefinition vertreten, teilweise auch sehr abstrakte. Eine allgemeingültige Designdefinition gibt es bis heute nicht.
In seinem Buch »Design Methods – seeds of human futures«, versucht auch John Christopher Jones einige Definitionen zu sammeln, um die Diffusität des Designbegriffes abzuschütteln, so sind dort unter anderem folgende Zitate zum Designbegriff zu finden:
»…The imaginative jump from present facts to future possibilities…«
von Page 1966 (Jones, J. C.: Design Methods – seeds of human futures, Bath 1981, S. 4)
Designdefinition – Design als Problemlösung
Das heute nicht mehr unbedingt von Problemen gesprochen werden kann, habe ich in meiner Masterarbeit erläutert. Insofern würden neuere Designprojekte, die nicht unbedingt ein direktes Problem behandeln, sondern eher Probleme verschieben bzw. minimieren, laut dieser Definition nicht als Designaktivität gelten. Bedarfsweckung oder nach Jonas auch die in Zukunft vermehrt, durch überhöhte Komplexität bedingter Orientierungsmangel, auftretende Bedarfsgestaltung bzw. Bedarfsreflexion (Jonas, W.: Design als systemische Intervention – für ein neues (altes) »postheroisches« Designverständnis, Halle 1996, S. 8) sind hier Schlagwörter, die diese Definition ins Absurde führen.
»…a goal-directed problem-solving activity…«
von Archer 1965 (Jones, J. C.: Design Methods – seeds of human futures, Bath 1981, S. 3)
»…Decision making, in the face of uncertainty, with high penalties for error…«
von Asimow 1962 (Jones, J. C.: Design Methods – seeds of human futures, Bath 1981, S. 3)
Design als Entscheidungsfindung
Die Definition ist vielleicht zutreffend, jedoch deckt dieses Zitat nicht die gesamte Breite der zukünftigen Kernkompetenz der Designdisziplin ab. Schließlich geht es nicht nur um Entscheidungen, sondern vorher auch um das Entwerfen von Objekten im abstrakten Sinne, zwischen denen man sich entscheiden muss. Weiterhin wird hier auch nicht darauf eingegangen, was das Ziel dieser Entscheidung ist. Insofern trifft diese Definition wiederum auf viele Felder zu und ist somit zu allgemein, als dass sie den Designbegriff wenigstens annähernd eindeutig beschreiben könnte.
»…Simulating what we want to make (or do) before we make (or do) it as many times as may be necessary to feel confident in the final result…«
von Booker 1964 (Jones, J. C.: Design Methods – seeds of human futures, Bath 1981, S. 3)
Design als Simulation
Diese Definition setzt die Methode der Simulation voraus, die auch nicht bei allen Projekten zutreffend bzw. möglich ist. Auch der Begriff »confident« ist sehr schwammig gewählt und sehr ungenau im Hinblick auf die gesellschaftliche und soziale Verantwortung, die ein Designer trägt. Hiermit wird die Ethik ausgeklammert.
»…Engineering design is the use of scientific principles, technical information and imagination in the definition of a mechanical structure, machine or system to perform prespecified functions with the maximum economy and efficency…«
von Fielden 1963 (Jones, J. C.: Design Methods – seeds of human futures, Bath 1981, S. 3)
»…The optimum solution to the sum of the true needs of a particular set of circumstances…«
von Matchett 1968 (Jones, J. C.: Design Methods – seeds of human futures, Bath 1981, S. 3)
Design als Problemlösung für ein Bündel an Problemen
Matchett, der aus dem Ingenieurwesen kommt, verwendet hier mehrere, nicht auf das Design anwendbare Worte. Zum Einen gibt es beim Design kein Optimum. Das würde bedeuten, dass Designergebnisse mathematisch gemessen werden können, allerdings gibt es keine absolute Wahrheit, denn es gibt auch nicht »die« Funktion, sondern ein Bündel an Funktionen, so schreibt Dorschel:
»…In keinem Zusammenhang gibt es nur eine oder »die« Funktion. Es gibt Funktionen unterschiedlichster Art[…]. Daß die eine Anforderung in einem bestimmten Maß zum Zuge kommt, bedeutet, daß die andere um ein bestimmtes Maß zurückgeschraubt werden muß. Ist dem so, handelt es sich um ein Kompromiß. Je komplexer Gegenstände und die Anforderungen an sie sind, desto größer ist die Zahl der einzugehenden Kompromisse…«
Dorschel, A.: Gestaltung: Zur Ästhetik des Brauchbaren, Heidelberg 2003, S. 28
Subjektive Kompromisse bei der Problemlösung
Gerade diese Kompromisse werden durch Blickwinkel bzw. Perspektiven geprägt, die subjektiv und unterschiedlich sind, insofern ist auch das Optimum nicht messbar und nur subjektiv ermitteltbar. Dieser Umstand macht sich gerade im sozialen Kontext sehr deutlich bemerkbar. Eine weitere ungünstige Formulierung ist die der true needs
. Heutzutage ist alles individuell und auch hier kann wieder Dorschel mit seinem Bündel von Funktionen zitiert werden, der ein Kompromiss darstellt und so den Begriff true needs
nur im subjektiven Kontext klären kann, nicht aber als universelle wahre true needs
.
Betrachtet man die Zeit, also die Jahreszahlen, in denen diese Statements gemacht wurden, wird schnell klar, dass sich diese Definition fast ausschliesslich auf das in dieser Zeit vorherrschende Produktdesign bezieht. Mittlerweile jedoch hat sich einiges geändert und viele neue Disziplinen sind dazu gekommen. Einzig Page hat mit seiner sehr abstrakten Definition heute noch Recht, obwohl sein Zitat durch seine Abstraktion auch auf andere Bereiche und Felder übertragen werden kann.
Designdefinition Fazit
Wenn Design sich in der Vergangenheit immer nur den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technologischen Umständen angepasst hat, muss die Definition doch von einer sehr abstrakten und komplexen Natur sein und vielleicht doch eher auf einem systemischen Ansatz fußen? Da, wie bereits erwähnt, Design abhängig von den Umständen ist, kann man, wie es zum Beispiel Wolfgang Jonas versucht, die Systemtheorien der Soziologie heranziehen, um einen Ausgangspunkt für eine Definition zu finden. In seinem Buch Design-System-Theorie aus dem Jahre 1994 schreibt Wolfgang Jonas: … Aktive Neuorientierung ist erforderlich: Das »Vor-Denken möglicher Welten« statt »Das Machbare machen«, »Problem-Design« statt »Lösungs-Design«…
und argumentiert …Damit entsteht eine weiterentwickelte Disziplin, die den zukünftigen Anforderungen besser gewachsen ist…
.
Als Fazit kann man festellen, dass Design eben noch keiner eindeutigen Definition unterliegt. Wolfgang Jonas meint hierzu:
»…Regelmäßige Krisen der disziplinären Selbstbilder führen zur Übernahme kurzlebiger Designtheorien / -ideologien, welche die Krise eine Weile verdrängen, indem sie Sinn und theoretische Fundierung für die Praxis liefern maßgeblich beeinflußt.[…] Die Gewöhnung an die Arbeit auf der Basis dieser kurzfristigen Theorien / Ideologien hat den fatalen Nebeneffekt, daß grundlegende, zukunftsorientierte, generative Theoriearbeit weitgehend vernachlässigt wird. Die Kompetenzen und (akademischen) Infrastrukturen, dies autonom zu verfolgen, innerhalb der Disziplin, verkümmern oder verschwinden sogar ganz…«
Jonas, W.: Design als systemische Intervention – für ein neues (altes) »postheroisches« Designverständnis, Halle 1996, S. 5
Okay, okay, zugegeben: Dieser Artikel bietet auch keine eindeutige Designdefinition. Das ist in einem Blogartikel auch nicht möglich. Er hat jedoch zumindest eine Sensibilität für die Vielschichtigkeit und Komplexität des Begriffes Design reifen lassen. Was haltet ihr von der Schwammigkeit des Designbegriffes? Welche Gedanken habt ihr euch dazu gemacht? Ich freue mich auf viele konstruktive und interessante Kommentare zu diesem Thema.
Danke!
Habe gerade den Artikel überflogen und auch viel zum Weiterdenken aufgenommen. Ich komme ursprünglich aus dem geisteswissenschaftlichen Bereich und lerne jetzt “technisches Produktdesign”, wo jedem, wenn er/sie es hört erstmal nur “Kunst” einfällt – mehr Irreführung gibt es wohl nicht, wenn ich zB. lerne, wie tief die Mindesteinschraubtiefe für eine metrische Schraube berechnet wird…
Von daher möchte ich eben sprachfähig sein, was “Design” eben ist…
Und meinen neuen Beruf nicht nur mit “hieß früher technischer Zeichner” beschreiben.
Denn gerade Management von Prozessen, Projekten und Qualität wird mir auch unter dem Fach “Konstruktion und Design” beigebracht – ja hier wird, wie Oben beschrieben, nicht die einzige mögliche Lösung, sondern eine mögliche sehr gute gesucht – nach vereinbarten Parametern. (Funktion, Kosten, Machbarkeit, … )
Zum anderen: Ich wohnte mit Kunst/Design Studierten mal in einer WG. Das nicht nur Covergestaltung und Ausstellungen organisieren, sondern auch Stadtteilplanung um Problemen in einem Viertel, besser: Entwicklungschancen für das Viertel gestalten (designen) Design ist – das habe ich erst Jahre nach meinem Auszug verstanden.
Den Artikel werde ich mir gerne erneut zu Gemüte führen um den restlichen Inhalt meinem Geist zum Wachstum angedeihen zu lassen.
P.S.: Meine Leidenschaft ist Punk DIY. Und erfolglose Bands. ;-)